Das Wollschaf fragt:
Wie stellst Du Dir das ideale Strickbuch vor?
Mal abgesehen davon, daß einem möglichst viele Modelle gefallen sollten: Was ist Dir noch wichtig?
Wärst Du bereit, für eine höhere Qualität (Einband, Papier, Format etc.) auch einen höheren Preis zu bezahlen?
Herzlichen Dank an Tina für die heutige Frage!
Diese Frage finde ich sehr schwer zu beantworten, denn das ideale Strickbuch kann so ziemlich alles sein: Dick oder dünn, schwer oder leicht, groß oder klein, üppig bebildert oder fast nur aus Text bestehend. Alles hat seine Berechtigung; was ich lese, hängt davon ab, worauf ich gerade Appetit habe. Und da ich keine Anfängerin mehr bin, sollte ein Strickbuch, das von mir gekauft werden möchte, auf jeden Fall mehr bieten als Grundlagen und Wiedergekäutes.
Vielleicht ist es ja einfacher, wenn ich schreibe, was ich nicht mag:
1. Hypertraditionalismus
Die Autorin hat vor hundertfünfzig Jahren im Alter von drei Monaten auf dem Arm ihrer Urgroßmutter stricken gelernt, seither die Nadeln nicht mehr aus der Hand gelegt und weiß genau, wie man alles richtig macht. Sie schreibt einem nicht nur vor, welche Nadeln man verwenden, sondern auch, wie man den Faden halten muss. Jede andere als ihre persönliche Methode ist grundfalsch und verursacht bei denen, die davon nicht lassen wollen, Mundgeruch und Hühneraugen.
2. hip-hip-hip
Die Autorin hat vor sechs Monaten übers Internet stricken gelernt und seither die Nadeln nicht mehr aus der Hand gelegt. Da sie stolz auf ihre Fremdsprachenkenntnisse ist, hält sie alles, was je in Deutsch veröffentlicht wurde, grundsätzlich für Mist. Nun ist sie bereit, ihre bahnbrechenden Erkenntnisse an ihre treuen und folgsamen Leserinnen weiterzugeben. Aus Gründen der politischen Korrektheit und weil sie Probleme mit dem Urheberrecht vermeiden will, gibt sie rechten und linken Maschen sowie klassischen Techniken neue oder wenigstens anglophil angehauchte Bezeichnungen. Was vor zwanzig Jahren ein simpler Patent-Schal war, mutiert bei ihr zum “Brioche Rib Scarf”, das klingt gleich viel internationaler und anspruchsvoller, obwohl das Teil nicht nur sterbenslangweilig aussieht, sondern es auch ist.
3. Probleme mit der Rechtschreibung
Die Autorin ist beseelt von missionarischem Eifer, begeistert von den eigenen Strick-Kenntnissen und möchte sie so schnell wie möglich gedruckt unters Volk bringen. Über die fünfzig Tippfehler auf dreißig Manuskriptseiten sieht sie großzügig hinweg und erwartet das auch von ihren Lesern. Rechtschreibkorrektur, korrekte Grammatik oder gar Korrekturlesenlassen sind was für Weicheierstöcke.
4. Miserable Fotoqualität
Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. Manche Bilder nuscheln oder stottern zwar erbärmlich bei ihrem Vortrag, aber ist das ein Grund, sie nicht zu veröffentlichen?
5. Schlechte oder fehlende Schemazeichnungen
Zeichnungen sind mühsam zu erstellen, sogar am Computer (ratet mal, woher ich das weiß). Deshalb macht so manche Autorin lieber ein miserables Foto (siehe oben), statt sich mit einem Grafikprogramm abzumühen und ein klares, sauber bemaßtes Schnittschema oder eine gut lesbare Strickschrift zu erstellen. Man kann schließlich auch einen 40-Maschen-und-60-Reihen-Rapport problemlos verbal auf drei Seiten beschreiben, und wenn die Leserinnen sich in Reihe 27 verheddern, ist das ganz sicher nicht die Schuld der Autorin.
Eins noch: Ein gutes Strickbuch sollte nicht versuchen, jeden Geschmack zu treffen, weil das unmöglich ist. Man sollte sich genau überlegen, welche Zielgruppe man anspricht und was man vermitteln will. Manchmal kann ein kleines, exquisites Büchlein mehr Aufmerksamkeit erzielen als ein mehrbändiges Elaborat.